1950 Blockflötentrio Geschwister Conradt, Erfurt In meiner Kindheit war die Blockflöte eines der wichtigsten und am weitesten verbreiteten Musikinstrumente. Sie lag in fast jedem Kinderzimmer, in jeder Schule gab es eine Blockflötengruppen. Die Blockflöte fehlte bei keinem Schulereignis. Preiswert und handlich war sie das Klavier der Armen. Meine Mutter wäre gerne Pianistin oder Gärtnerin geworden, war aber ihr Leben lang Hausfrau. Was ihr zu erreichen verwehrt war, sollte ihren Kindern gelingen – alle drei bekamen privaten Musikunterricht im Blockflötenspiel, ein großer Luxus in der Nachkriegszeit. Als Blockflötentrio traten meine Geschwister und ich auch außerhalb familiärer Anlässe auf. Ich hasste den Unterricht und das Instrument. „Vom Blatt zu spielen“ war für mich eine Qual. Woher meine tiefe Abneigung gegen dieses Instrument kam, kann ich mir nicht recht erklären – eigentlich liebte ich die warmen Töne der Flöte und es erfüllte mich mit Stolz, wenn es mir gelang, schwierige Passagen bei Scarlatti oder Bach zu spielen. Meine Mutter war streng – ich war verspielt, voller Phantasie, ein Querkopf. Luftikus nannte mich mein Vater. Mein Problem: ich war Legastheniker, litt an einer „Störung“, deren Zusammenhänge damals noch nicht erforscht waren. Deutsche Grammatik war für mich ein Buch mit sieben Siegeln. In der Natur und am Stadtfluss von Erfurt, der Gera, fühlte ich mich wohl. Thüringen ist das Land von Johann Sebastian Bach – er gehörte zu unserer Familie. Von einem Lottogewinn kaufte meine Mutter einen Plattenspieler – damit Bach täglich unsere Ohren erfreuen konnte. Von der Blockflöte wechselte ich zum Flügelhorn im kirchlichen Posaunenchor. Später spielte ich auch Tenorhorn. Blechblasinstrumente erschienen mir männlicher als die Blockflöte. Zeitweise sang ich im Pionierchor der Schule. Einen wichtigen Auftritt verpasste ich 1954. Mit Halsentzündung lag ich im Bett und hörte im Radio, wie Westdeutschland Fußballweltmeister wurde. Ich erinnere mich genau an den Ruf: Tor, Tor, Tor - und freute mich über den Sieg für Deutschland, obwohl ich das als DDR-Bürger gar nicht durfte. Das sozialistische Ungarn, unser Bruderland, hätte gewinnen sollen. Ich glaube, sie spielten auch besser.
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