1964 Expo Lausanne, „Symphonie Les Echanges“ von Rolf Liebermann 1955 wechselte ich von Thüringen nach Westberlin - in ein evangelisches Schülerinternat. Täglich gab es eine Andacht mit Gesang, Montagabend im Radio „Schlager der Woche“. Fast alle saßen im Clubraum am Radio, die Bude brannte. Einige fingen an zu tanzen, laut und wild. Der Heimleiter schloss das Radio ein, wir protestierten: Elvis Presley eroberte unsere Gefühle. Rock and Roll. 1956 hörten wir im Radio die Rufe der Aufständischen aus Ungarn: Helft uns, bald sind wir verloren. Diese Stimmen aus dem Äther waren so kindlich, so verzweifelt. Mein Freund Ernst und ich wollten uns tatsächlich heimlich auf den Weg nach Ungarn machen. Es ging uns aber wie den Ameisen bei Ringelnatz… in Wannsee drehten wir um. Die nächsten Töne, die mich tief bewegten, waren anderer Art: Ernst und ich wollten beide Förster werden. Einmal trampten wir in den Herbstferien durch die DDR in den Harz, berauschten uns am Röhren der Hirsche zur Brunftzeit. Ernst wurde tatsächlich Förster, ich wurde krank, bekam Tuberkulose, lag mit Thomas Mann auf dem „Zauberberg“. Mein Interesse für Kunst erwachte, doch hatte ich das Gefühl stumm zu sein. Ich wurde Fotograf, Leica-Spezialist. Auf der Dokumenta3 arbeitete ich als Ausstellungshelfer, fotografierte und fuhr 1964 zur Expo nach Lausanne. Die Schweiz liebte ich wegen Wilhelm Tell, der Fahne mit dem weißem Kreuz und dem Matterhorn. Das Internat, in dem ich nach meinem Umzug aus der DDR gewohnt hatte, lag in der Matterhornstraße. Im Esszimmer hing ein Bild von diesem Berg, der für mich wie eine Zipfelmütze aussah. Auf der Expo hatte ich ein Schlüsselerlebnis. „Symphonie Les
Echanges“ hieß ein Dreiminutenstück von Rolf Liebermann,
in dem, angeordnet auf einer großen, kreisförmigen Platte,
156 Büromaschinen wie von Geisterhand gelenkt „musizierten“.
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