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Der Portapak

1967 brachte die Firma Sony den ersten transportablen Videotaperecorder - den PORTAPAK AV 3420 CE - auf den Weltmarkt. Mit dieser 11 kg schweren audiovisuellen Zeitmaschine konnten erstmals in Verbindung mit einer handlichen Röhrenkamera s/w Bilder und Töne auf VIDEOTAPES V-60H bis zu 30 Minuten Länge aufgezeichnet und wiedergeben werden.

Die Lösung des Problems - unterschiedlich schwingende Ton- und Bildfrequenzen auf ein Magnetband zu speichern - bestand in der Entwicklung des Schrägspur-Aufzeichnungsverfahren (Helical Scan) - das in seiner Bedeutung mit der Erfindung der beweglichen Lettern von Johannes Gutenberg verglichen werden kann.

Bereits 1953 hatte der Ingenieur Eduard Schüller, der 1935 auf der Funkausstellung auch das erste Tonbandgerät der Welt vorgeführt hatte, das Schrägspurverfahren erfunden und als Patent angemeldet. Es blieb jedoch unbeachtet im Archiv vom im Nachkriegsdeutschland wieder stark gewordenen Telefunken Konzern liegen.

Das Erscheinen des PORTAPAKS auf dem Weltmarkt der TELEKOMMUNIKATION löste eine wahre Euphorie aus. Mit dem neuen Werkzeug - dem „Magnetoscope des Amateurs“ -war es möglich geworden, kostengünstig und ohne technische und gestalterische Vorkenntnisse - Ereignisse zu dokumentieren und Filme zu drehen, sie an Ort und Stelle anzusehen - sie zu senden.

In der Folge waren PORTAPAKS in den Händen von Künstlern, Sportlern, Psychologen, Managern, Polizisten zu sehen, von Menschen, die über andere Strukturen von ÖFFENTLICHKEIT nachdachten. Video – ich sehe, ich werde gesehen - wurde zum Bürgermedium, die Videokamera ersetzte den Bleistift des Schriftsteller und den Pinsel des Malers. Alle waren fasziniert vom „elektronisch vermittelten Sehen“. Video als Spiegel, als Tagebuch, als Exposé für bisher nicht formulierte Visionen. Zusätzlich war es möglich geworden, das aktuelle Fernsehprogramm mitzuschneiden und sich so ort- und zeitversetzt sein eigenes Programm zusammenzustellen. Der PORTAPAK - Spielball zwischen Hegemonie und Autonomie.

In Deutschland entwickelte sich schnell eine breite Videobewegung – Künstler fanden Aufmerksamkeit durch Museen, Dokumentaristen organisierten sich in Medienzentren und übertrugen Brechts Radiotheorie auf das Fernsehen: Den Zuschauer zum Produzenten machen. Worte wie Feedback und Closed-circuit erreichten uns vom amerikanischen Kontinent. Die amerikanischen VIDEOFREEX veröffentlichten eine Gebrauchsanleitung für den PORTAPAK in Form eines Comics, in Italien erschien bei Feltrinelli Roberto Faenzas Handbuch zur politischen Videopraxis „Senza chiedere permesso“ und der MEDIENLADEN Hamburg publizierte in unregelmäßiger Folge ein „Video Magazin“. Auch für das Fernsehen war das neue Medium Video hoffähig geworden. In Jugend- und Avantgardmagazinen wurden mit dem PORTAPAK produzierte Videospiele gesendet.

Zehn Jahre später war alles vorbei. Über fünfzigtausend Geräte und zwei bis drei Millionen Bänder waren in der Bundesrepublik bis zum Jahr 1975 verkauft worden – doch die Nutzer stellten erschrocken fest: Ihre Bänder mit den wertvollen Aufnahmen liefen nicht mehr durch die Maschinen, nach kurzem Anlauf blieben sie an der Kopftrommel kleben. „Eine silikonartige Masse wirkte gleithemmend“, kommentierte SONY den Vorgang und war nach langwierigen Verhandlung bereit, den Schaden anzuerkennen und zu begrenzen.

Mit dem Jubilar Siegfried Zielinski verbindet mich die Liebe zu einer Skulptur die auf der ersten Berliner Funkausstellung im Jahr 1930 zu sehen war. Entdeckt habe ich sie als Abbild in seinem Standartwerk „Zur Geschichte des Videorecorders“ und später sah sie mich auch vom Cover seines Buches „Audiovisionen“ an. Dabei handelt es sich um eine junge nackte Frau, die sehnsüchtig in die Ferne schaut - die „Allegorische Darstellung des Fernsehens“, 1930. Diese fünfundsechzig Zentimeter hohe Plastik regte mich sechzig Jahre später zu der Fragen an: Was ist aus dem Modell von 1930 geworden? An der Universität Salzburg suchten wir zusammen mit einer Gruppe von StudentInnen nach einer Antwort. Als Installation stand in einem Peepshowzelt unter der Beobachtung von sechs S-VHS Camcordern die inzwischen achtzigjährige „Allegorie des Fernsehens“, 1993. Video macht wie kaum ein anderes Medium die Vergänglichkeit des Lebens sichtbar.

Die Idee des PORTAPAKS wurde über Jahrzehnte technisch und inhaltlich verfeinert. Heute ist es möglich, mit HANDYKAMERAS in fast alle Lebensbereiche ungehindert einzudringen, Filme zu drehen und diese per Internet der Weltöffentlichkeit vorzustellen.

Gerd Conradt

Robert Faenza, Wir fragen nicht mehr um Erlaubnis, Basis Verlag, 1975

Siegfried Zielinski, Zur Geschichte des Video-Recorders, Spiess, 1986

Videofreex, The Spaghetti City Video Manuel, 1975

Gerd Conradt, Bänderseuche, medium, Juni 1983

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